In der Zeit der Unruhen, wo der Mager herrschte, und
die Sieben eine Verschwörung gegen ihn stifteten, waren die
Babylonier abgefallen und hatten sich im Stillen zu einer
Belagerung vorbereitet. Als jetzt Dareios mit seiner ganzen
Macht gegen sie auszog, die Stadt zu erobern, erwürgten
die Babylonier die meisten ihrer Weiber, damit sie ihnen nicht
die Lebensmittel aufzehrten. Um die Belagerung kümmerten
sie sich gar nicht, sondern stiegen auf die Zinnen der Mauern,
tanzten und spotteten des Dareios und seines Heeres.
Bereits neunzehn Monate hatte die Belagerung gedauert;
Dareios und sein ganzes Heer ward mißmuthig, weil man
trotz aller List und Klugheit nicht im Stande war, Babylon
einzunehmen. Da ging im zwanzigsten Monat Zopyros,
ein vornehmer Perser, zum Dareios und fragte ihn, ob ihm
an der Eroberung Babylons sehr viel gelegen wäre, und
als er hörte, daß dies dem König über Alles ging, überlegte
Zopyros, wie er es sein könne, der die Stadt einnähme,
daß sein die That wäre. Er fand aber, daß es auf keine
andere Art möglich wäre, als wenn er sich selbst schmählich
mißhandelte und zu den Babyloniern überginge. Da schnitt
er sich Nase und Ohren ab und schor sein Haupt recht
schändlich und geißelte sich, und so kam er zum Dareios.
Der König aber ward sehr entrüstet, als er ihn so schmählich
zugerichtet sah, sprang von seinem Throne auf und schrie
laut und fragte ihn, wer ihn so schmählich zugerichtet habe,
und warum.
Zopyros aber sprach: ,,Kein Mensch als du hat Macht,
mich so zu verstümmeln; auch hat es, o König, kein Fremder
gethan, sondern ich allein: denn ich kann es nicht ertragen,
daß die Babylonier der Perser spotten."
Er aber antwortete: „O du böser Mensch, der abscheu-
lichsten That giebst du den schönsten Namen, indem du sagst,
du habest dich der Belagerten wegen so heillos zugerichtet.
Werden sich denn, du Thor, die Feinde schneller ergeben,
weil du dich so schmählich entstellt hast? Bist du nicht ganz
von Sinnen, daß du dich selbst verstümmelt hast?"
Zopyros aber sprach: „Hätte ich dir erst vorgelegt, was
ich thun wollte, so hättest du es nicht zugegeben; nun habe
ich es ganz auf eigne Hand gethan, und wenn du es jetzt
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bannen, doch der Nausikaa flößte Athene Muth in die Seele,
daß sie es wagte, die flehende Anrede des Fremdlings zu
hören, der in Mitleid erregenden Worten sein bejammerns-
werthes Geschick schilderte und sie um ein Stück Zeug zur Be-
kleidung bat. Die gerührte Nausikaa sprach ihren Freundinnen
Muth ein, und ließ dem Odysseus Leibrock und Mantel nebst
Salböl in goldener Flasche reichen. Odysseus stieg, während
die Mädchen sich entfernten, in den Strom, sich zu baden,
und gereinigt von dem Schlamme des Meeres, salbte er seinen
Körper und legte die köstlichen Gewänder an. Seine Schutz-
göttin Athene erhöhte die Größe und Fülle seiner Gestalt und
ließ sein Haar in Locken von seinem Scheitel wallen. So
stand er, eben noch der unansehnliche Fremdling, in jugend-
licher Schönheit und Kraft vor den erstaunten Mädchen, deren
Blicke voll Verwunderung aus dem herrlichen Manne ruheten.
Nachdem Odysseus sich durch Speise und Trank erquickt, folgte
er den Mädchen zur Stadt; doch Nausikaa scheute sich, mit dem
fremden Manne heimzukehren, und ging deshalb voraus in
die Stadt. Odysseus, dem sie den Weg beschieden hatte, kam
in kurzer Zeit nach.
Athene selbst, in Gestalt eines Mädchens mit einem Wasser-
gefäß, zeigte ihm den Weg zum königlichen Palaste, in dem
Alles vom Glanze des Goldes und Silbers strahlte. Odysseus
nahte flehend der am Herde sitzenden Königin und bat, ihre
Kniee umfassend, um gastliche Aufnahme. Dann setzte er sich,
der Antwort harrend, auf den Herd und sogleich trat König
Alkinoos selbst zu ihm und führte ihn zu einem prächtigen
Sessel, und Odysseus genoß jetzt im Palaste des Königs alle
Ehrenbezeigungen, die jene gastfreie Zeit den Fremden spendete.
Unter heiteren Spielen verbrachte er hier in Festen seine
Zeit; der Sänger sang von dem Kriege gegen Troja, von
dem hölzernen Roß, durch welches die Veste erobert ward,
und Odysseus hörte seinen eigenen Ruhm, ohne daß Jemand
die Anwesenheit des Helden ahnte. Endlich ward er um seine
Geschichte gefragt, und nun erzählte Odysseus den staunenden
Zuhörern seine vielfachen Leiden und Gefahren, die er seit
der Abfahrt von Troja erduldet hatte. Die Phäaken, über
die Alkinoos herrschte, waren ein ruderliebendes und ein wohl-
wollendes Volk und hatten schon manchen von den Stürmen
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Extrahierte Personennamen: Muth Muth König
Alkinoos
84
an den Frevlern nehmen würde, doch Eumäos schenkte ihm
keinen Glauben, sondern beharrte fest auf der Meinung, daß
sein unglücklicher Herr schon längst eine Beute der Raubthiere
oder Fische geworden sei. Jetzt fragte er auch den Odysseus
um sein Schicksal, und nun brachte der Bettler eine erdichtete
Erzählung vor, in der er nochmals versicherte, daß er auf
seinen Reisen von dem herrlichen Helden gehört habe, und
daß er bald mit unermeßlichen Schätzen nahen werde.
Am andern Tag kehrte auch Telemachos von seiner
Reise zurück. Bevor er in die Stadt ging, kehrte er bei dem
treuen Sauhirten ein und ward von ihm wie der Sohn
von seinem Vater empfangen. Ehrerbietig stand der verkleidete
Odysseus vor seinem eigenen Sohne, der den Vater nicht
vermuthete, auf, doch Telemachos hieß ihn freundlich sich
niedersetzen, indem er sagte, er werde schon auch einen Sitz
finden. Aus des Sohnes Munde erfuhr jetzt der Vater den
Zustand seines Hauses. Telemachos entsandte den Eumäos
n die Stadt, um der Mutter Penelope, die sich in seiner
Abwesenheit um ihn geängstigt hatte, seine glückliche Ankunft
anzuzeigen. Schnell enteilte der Sauhirt, und nun waren
Vater und Sohn allein.
Athene nahete, nur dem Odysseus sichtbar, und rieth
ihm sich zu erkennen zu geben. Von Athene mit dem Stabe
berührt, stand jetzt der Vater, in einen kostbaren Mantel und
Leibrock gekleidet, in der Fülle seiner schönen und kräftigen
Heldengestalt vor dem Sohne, der ihn staunend für einen
Gott hielt. „Nein, ich bin kein Gott," erwiederte Odysseus,
„ich bin dein Vater, um den du von trotzigen Männern viele
Kränkungen duldest." Noch immer war Telemachos ungläubig,
und erst, als ihn Odysseus beschied, daß die Verwandlung
ein Werk Athene's sei, schlang er, Thränen vergießend, die
Arme um den lange vermißten Vater. Dieser erzählte die
Geschichte seiner Heimkehr und besprach mit Telemachos den
Plan zur Rache. Als Bettler wollte Odysseus in die Stadt
gehen, alle Schmähungen und Kränkungen der Freier geduldig
ertragen, und auch Telemachos sollte sein Gefühl für den
Vater verleugnen und ruhig zusehen, wenn er mißhandelt
würde. Heimlich aber sollte Telemachos alle Waffen aus dem
Saale tragen und nur für sich und Odysseus Schwerter,
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85
Speere und Schilde zurücklassen, vor allen aber das tiefste
Geheimniß beobachten.
Nach dieser Verabredung kehrte Telemachos nach der
Stadt in seinen Palast zurück, wo die Freier, über die Ver-
eitelung des Mordes an dem heimkehrenden Königssohn er-
grimmt, auf neue Frevelthaten sannen.
Am andern Morgen kehrte Odysseus, der inzwischen seine
Bettlergestalt wieder angenommen hatte, mit dem Sauhirten
Eumäos nach der Stadt. Unterwegs schon erfuhr der ver-
kleidete König harte Kränkungen von einem unverschämten
Ziegenhirten, dem Melantheus, der, auf Seiten der Freier
stehend, diesen Ziegen zum Schmaus in die Stadt führte. Als
er die Beiden sah, rief er aus: „Wahrlich, das heißt recht,
ein Taugenichts führt den andern! Stets gesellt ja ein Gott
den Gleichen zum Gleichen! Was führst du nun, Sauhirt,
diesen Fresser, diesen beschwerlichen Bettler und Tellerlecker in
die Stadt, der, die Schultern an den Thürpfosten sich reibend,
um Brocken bittet! Wenn er zum Hüter eines Geheges, zum
Ausfegen der Ställe taugte, könnte er Molken trinken, und
Fett auf die Lenden gewinnen; doch zur Landarbeit wird er
keine Lust haben und lieber für seinen unersättlichen Bauch
um Futter betteln. Im Palaste des Odysseus werden ihn
die Freier mit Schemeln werfen und ihm die Rippen zer-
schmettern."
Diese und andere Schmähungen ertrug der Held mit
ruhiger Gelassenheit; bald enteilte der Ziegenhirt Melantheus
zum Palaste, und auch Eumäos und der Bettler langten nach
ihm an. Vor der Wohnung auf einem Haufen Dünger lag
ein alter Hund des Odysseus, der, vormals ein stattlicher
Jagdhund, jetzt verachtet und von Ungeziefer verzehrt da lag.
Das treue Thier erkannte sogleich den Herrn und wedelte
mit dem Schwänze, doch vermochte es aus Schwäche nicht
mehr zu ihm zu gehen y Odysseus unterdrückte heimlich eine
Thräne, der Hund aber fiel, als er seinen Herrn im zwan-
zigsten Jahre heimkehren gesehen, todt nieder.
Jetzt trat Odysseus in den Saal, und als er von Tele-
machos Speise erhalten hatte, flehete er der Reihe nach auch
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86
die Freier um Gaben an, die ihm auch alle von ihrem Ueber-
flusse mittheilten, nur Antinoos wies ihn mit Schmähungen
ab und warf ihn mit dem Schemel an die Schultern: doch
Odysseus duldete schweigend die Mißhandlung.
Penelope hatte indeß von Eumäos die Ankunft des viel-
gewanderten Bettlers erfahren, und wie sie jeden umherirren-
den Fremdling nach Odysseus auszuforschen pflegte, so sandte
sie auch zu dem Bettler, um sich bei ihm nach dem ersehnten
Gemahle zu erkundigen. Odysseus trug aber gegründetes Be-
denken, in seiner ärmlichen Kleidung durch die Schaar der
trotzigen Freier, die ihn erst so eben gekränkt hatten, in das
Obergemach der Königin zu gehen, und verschob daher seine
Erzählung bei der Königin auf die Zeit des Tages, wo sich
mit dem Untergange der Sonne die übermüthigen Männer
entfernen würden.
In Jthaka trieb sich ein Bettler, Jros genannt, umher,
der täglich um Speise und Trank Haus für Haus bettelte,
und auch in der Wohnung des Odysseus bei den Freiern Zu-
tritt hatte. Dieser kam jetzt, und unwillig, einen andern
Bettler an seinem Platze zu sehen, wies er den Odysseus zu-
rück und drohete ihm im Weigerungsfälle mit Faustschlägen.
Es kam von Worten zur That, und die Freier ergötzten sich,
jetzt den Kampf zwischen zwei Bettlern mit anzusehen, und
versprachen dem Sieger einen fett gebratenen Geismagen zur
Belohnung. Odysseus rüstete sich zum Kampfe, er entblößte
seine gewaltigen Schultern und Arme, daß die Freier bei dem
Anblick der kräftigen Glieder erstaunten. Der Kampf dauerte nur
kurze Zeit; denn Odysseus schlug den Jros unter dem Ohr
an den Hals, daß die Knochen zerbrachen und ein Blutstrom
seinem Munde, entquoll. Dann zog er ihn am Fuß bis auf
den Vorhof, wo er ihn an einer Mauer niedersetzte.
Als der Abend herankam, wurde Feuer angezündet, den
großen Männersaal zu erleuchten, und von neuem begann der
Lärm des Gastmahls unter den Freiern, bis sie, nachdem
Odysseus noch manche Kränkung erduldet hatte und sogar
von den dienenden Mägden geschmäht worden war, aus Tele-
machos Anmahnen sich nach ihren eigenen Wohnungen begaben.
Die Zeit ihrer Abwesenheit benutzten Vater und Sohn, die
Waffen aus dem Saale zu tragen, und auch, als Telemachos
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93
Lacedämonier theilte er in 30,000 kleinere Theile. Einst
ging Lykurgos zur Zeit der Ernte durch die Felder, und als
er sah, wie die Getreidehaufen in gleichen Reihen neben
einander lagen, lächelteerund sagte: „Ganz Lakonien scheint
vielen Brüdern zu aehören, die eben erst unter einander ge-
theilt haben."
Den Gebrauch der Gold- und Silbermünzen hob Ly-
kurgos auf und führte statt derselben eisernes Geld ein.
Dieses war so schwer und von solchem Umfange, daß man
für etwa 225 Rthlr. nach unserem Gelde eine besondere
Niederlage im Hause, und um es fortzuschaffen, ein Zwei-
gespann nöthig hatte. Durch diese Maßregel wurden viele
Vergehungen, z. B. Diebstahl, Bestechung, Raub u. dgl,,
aus Sparta verbannt, aber auch Künste und Handel gänzlich
gelähmt. Die Spartaner gewöhnte Lykurgos zur größten
Einfachheit und gestattete ihnen nur den Gebrauch der unent-
behrlichsten Geräthschaften.
Am meisten suchte er der Schwelgerei durch Einführung
der gemeinsamen Mahle entgegen zu arbeiten, zu denen jeder
Spartaner einen monatlichen Beitrag von Getreide, Feigen,
Käse und Wein liefern mußte. Dabei war es streng ver-
boten, sich zuvor zu Hause satt zu essen und dann mit ge-
fülltem Magen beim Mahle zu erscheinen, und die übrigen
Tischgenossen, deren stets fünfzehn eine Tischgesellschaft aus-
machten, merkten genau auf und schalten den, welcher nicht
aß und trank und die gemeinsame Kost verachtete. Nur wer
von einem Opfer oder einer Jagd spät zurückkehrte, durfte
zu Hause speisen. Als einst der König Agis von einem
Feldzuge zurückkehrte und bei seiner Frau zu speisen wünschte,
wollte er sich seine Portion holen lassen, aber die Vorsteher
bei den Mahlzeiten schickten sie ihm nicht. Das Hauptgericht
der Mahlzeit war die schwarze Suppe oder Blutsuppe. Um
sie zu versuchen, ließ sich einst ein Pontischer König einen
Spartanischen Koch kommen. Als er die Suppe gekostet
hatte und sie unschmackhast fand, sagte der Koch: „Diese
Suppe, o König, schmeckt nur denen, die sich vorher im
Eurotas gebadet haben." Durch die Einrichtung dieser gemein-
samen Mahlzeiten zog sich Lykurgos den Haß der Reichen in
dem Grade zu, daß es einst zu einem Aufstande kam, und
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115
hüten, daß man sage, er sei glückselig, sondern nur, es gehe
ihm Wohl. Es ist aber unmöglich, daß ein Mensch dieses
Alles zumal erlange, und so wie ein Land nicht Alles her-
vorbringt, sondern das eine hat und Mangel leidet am an-
dern, das aber, welches das meiste hat, das hat den Vor-
zug: also ist auch ein Menschenleib sich selber nicht zur
Genüge: das eine hat er, das andere bedarf er. Wer nun
das meiste bis an sein Ende hat und dann freudigen Muthes
sein Leben beschließt, der, o König, verdient nach meiner
Einsicht den Namen des Glückseligen. Bei jeglichem Dinge
muß man auf das Ende sehen, wie es hinaus geht; denn vielen
hat Gott das Glück vor Augen gehalten und sie dann gänz-
lich zu Grunde gerichtet."
Also sprach er zum Krösos, und weil er ihm gar nicht
zu Willen redete, noch sich an ihn kehrte, ward er entlassen,
und Krösos hielt ihn für sehr unverständig, weil er die Güter
der Gegenwart nicht achtete, sondern sagte, man müsse das
Ende eines jeden Dinges abwarten. Bald aber sollte Krösos
erfahren, das Solon die Wahrheit geredet hatte.
Zu Athen waren indessen während Solons Abwesenheit
die früheren Parteien unter dem Volke wieder hervorgetreten.
Als Solon nach zehnjähriger Abwesenheit wieder in seiner
Heimath anlangte, wurde er zwar von allen Bürgern geachtet
und geehrt, vermochte aber nicht, die in Parteien zerfallenen
Athener auszusöhnen und zur Eintracht zurückzuführen. Auch
war er schon hochbejahrt und zog sich von den Staats-
geschäften zurück. Er starb, als Pisistratos schon einige Zeit
Tyrann von Athen war. , / n ^
/. 7/¿/ ?■ M . i. \\ v ^¿/p -Wm.
Xii.
Pisistratos und seine Söhne.
(561—510 v. Chr.)
Die Parteien, die noch zu Solons Lebzeiten in Athen
entstanden, unterschieden sich nach der verschiedenen Beschaffen-
heit des Bodens von Attika in Bewohner der Ebene, an
deren Spitze L ykurgos stand, in die Bewohner der Küsten,
8*
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129
kam es zu einer blutigen Schlacht, und nachdem auf beiden
Seiten eine große Menge gefallen war, wandten sich die
Aegppter zur Flucht, und auch ihre Stadt Memphis mußten sie
nach einer Belagerung den Persern übergeben. Mit dem ge-
fangenen Psammenitos, dessen Muth Kambyses auf die Probe
stellen wollte, erlaubte er sich ein grausames Spiel.
Er legte seiner Tochter ein Sklavenkleid an und schickte
sie mit einem Wasserkruge nach Wasser; zugleich mit ihr t
sandte er noch die Töchter der angesehensten Aegppter in
derselben Tracht, wie die Königstochter. Als die Jungfrauen
mit Schreien und Weinen bei ihren Vätern vorbeigingen, er-
hoben auch diese über das Elend ihrer Kinder laute Klagen
und weinten; Psammenitos aber, als er seine Tochter ge-
wahrte, blickte zur Erde. Nachdem die Wasserträgerinnen
vorüber waren, schickte Kambyses auch den Sohn des Psam-
menitos mit zweitausend andern Aegyptern vorbei,- die alle,
einen Strick um den Hals, zum Tode geführt wurden. Die
Aegppter, die um ihren König saßen, weinten; Psammenitos
aber richtete seinen Blick thränenlos zur Erde. Da kam
ein alter Mann von Psammenitos Tischgenossen, der sein
Hab und Gut verloren hatte und jetzt als Bettler das Kriegs-
volk um Almosen bat, und auch bei dem gefangenen König
vorbeiging. Als dieser ihn sah, weinte er laut, rief den
Namen seines Freundes und schlug sich an den Kopf. Die
Wächter des Psammenitos meldeten dem Kambyses dessen
Benehmen, und dieser ließ den König der Aegppter fragen,
warum er bei dem Anblick seiner Tochter und seines Sohnes,
der zum Tode geführt worden sei, nicht geweint, diesen
Bettler aber, der doch nicht mit ihm verwandt sei, so hoch
geehrt habe. Psammenitos antwortete: „O Sohn des Kyros,
mein häusliches Unglück war zu groß um darüber zu weinen,
aber das Elend des Freundes, der Hab und Gut verloren
hat und an der Schwelle des Alters zum Bettler geworden
ist, war der Thräne werth."
Die Antwort gefiel dem Kambyses und es wandelte
ihn ein Mitleiden an. Er befahl, den Sohn vom Tode zu
erretten und den Vater zu ihm zu führen. Doch den Sohn
fanden die Boten nicht mehr am Leben, denn er war zuerst
hingerichtet worden; Psammenitos aber lebte fortan, ohne
Stacke, Griech. Geschichte. 10. Aufl. 9
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194
Xxv.
Alcibiades.
Alcibiades, der Sohn des Klinias, stammte aus
einem reichen und edlen Geschlechte, das bis auf den Tela-
monier Ajax hinaufreichte, und war verwandt mit Perikles,
der nach dem Tode feines Vaters die Vormundschaft über
ihn führte. Die Natur hatte den Alcibiades mit den glän-
zendsten Gaben des Körpers und der Seele ausgestattet, er
besaß eine sehr schöne Gestalt, einen lebhaften, durchdringenden
Geist, eine einschmeichelnde Stimme, die durch ein leichtes
Anstoßen mit der Zunge — er konnte den Buchstaben R
nicht aussprechen, — nur um so lieblicher ward. Dagegen
fehlte ihm aber auch nicht jener Leichtsinn und ausgelassene
Muthwille, der überhaupt ein Zug des Athenischen Volkes
war. Bei solchen Gaben war es kein Wunder, daß er schon
als Knabe die Aufmerksamkeit der Athener auf sich zog, und
manche witzige Aeußerung, mancher lose Streich wird uns
von ihm erzählt.
Einst übte er sich mit einem stärkeren Knaben im Rin-
gen, und um nicht zu unterliegen, biß er ihn in den Arm.
Als sein Gegner ihn mit den Worten schalt: ,,Du beißest ja,
Alcibiades, wie die Weiber!" antwortete dieser: „Nein, wie
die Löwen!" — Ein andermal spielte er mit mehreren an-
dern Knaben auf der Straße Würfel und er war gerade
am Wurf, als ein Wagen gefahren kam. Alcibiades bat den
Fuhrmann zu warten, da dieser aber nicht auf ihn hörte,
legte er sich quer vor die Pferde auf die Straße und sagte:
„Nun fahre zu, wenn du willst!" Der Fuhrmann mußte
umwenden. — Alcibiades war lernbegierig und seinen Lehrern
folgsam, nur gegen die Flöte zeigte er einen unbesiegbaren
Widerwillen, weil sie den Mund und das Gesicht entstelle
und nicht gestalte, daß der Spielende dazu singe. „Die
Kinder der Thebaner," sagte er, „mögen die Flöte blasen,
denn sie verstehen nicht zu reden." Er theilte seine Abneigung
gegen dieses Instrument seinen Gespielen mit und brachte es
förmlich in Verruf. Einst wollte er seinen Vormund Perikles
besuchen, erfuhr aber vor der Thür, daß dieser beschäftigt sei
und gerade dariiber nachdenke, wie er den Athenern Rechen-
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
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213
mehr, und Viele, welche zuerst gegen die Todesstrafe gestimmt
hatten, sprachen sich jetzt für seine Hinrichtung aus. Er
ward verurtheilt den Giftbecher zu trinken, und ins Gefäng-
niß geführt.
Am Tage vor seiner Verurtheilung aber ging gerade
das heilige Schiff nach Delos ab, um dem Apollo ein Opfer
zu bringen, und nach Athenischem Gebrauche durfte vor der
Rückkehr dieses Schiffes kein Todesurtheil vollzogen werden.
So lebte denn Sokrates noch dreißig Tage im Gefängniß,
wo ihn seine Schüler, .niedergebeugt von Schmerz über den
nahen Verlust eines solchen Lehrers, täglich besuchten und
sich mit ihm unterhielten. Am lautesten jammerte Appollo-
doros; als dieser einst schluchzend ausrief: „Ach, daß du so
unschuldig sterben mußt!" antwortete Sokrates lächelnd:
„Wünschest du denn, daß ich schuldig stürbe?"
Einer seiner Schüler, Kriton, hatte durch eine Summe
Geldes den Kerkermeister bestochen und forderte den Sokrates
auf, in der Nacht durch die offene Thür des Gefängnisses zu
entfliehen und nach Thessalien zu reisen, wo Kriton Gast-
freunde hatte. Sokrates verschmähte diesen Vorschlag und
bewies dem Kriton, daß es die Pflicht des Bürgers sei, den
Gesetzen des Staates in jedem Falle zu gehorchen.
Am Morgen seines Todestages erschienen seine Freunde
schon früh im Gefängnisse. Auch seine Frau Xanthippe
war da, das jüngste Kind auf den Armen tragend. Um ihr
heftiges Wehklagen nicht länger anhören zu müssen, bat So-
krates, sie hinwegzuführen, und nun begann er sein letztes
Gespräch mit seinen Freunden, indem er sie über die Unsterb-
lichkeit der Seele belehrte. So verging der Tag und der
Abend brach herein, als der Diener eintrat und ihm anzeigte,
daß es nun Zeit sei. „Du wirst mir nicht fluchen", sagte er,
,,wie die Anderen thun; ich thue ja nur was mir die Oberen
befehlen. Ich habe dich als den besten Mann kennen gelernt
von Allen, die hierher gekommen sind. Lebe Wohl und ver-
suche, die Nothwendigkeit so leicht als möglich zu ertragen."
Weinend entfernte sich der Diener. „Wie brav der Mensch
ist", sagte Sokrates. „Auch während der ganzen Zeit hat er
sich so bewiesen, wenn er mich besuchte. Aber geht und holt
den Trank, wenn er schon eingerieben ist." Die Freunde
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